Wann wussten Sie, dass Sie Künstler werden wollen?
Ich bin im Atelier meines Vaters aufgewachsen. Mit 9 Jahren habe ich bereits mein erstes Ölgemälde gemalt. Die Gerüche und die Stimmung im Atelier, haben mich schon damals fasziniert. Ich glaube, ich habe da schon geahnt, dass ich diese Leidenschaft einmal zu meinem Beruf machen werde. Jetzt, genau 50 Jahre später, erinnere ich mich noch an das Gefühl von Damals. Ich war ein Kind mit einer überschwänglichen Fantasie, meine Deutschlehrerin riet meinen Eltern, ich solle Schauspielerin werden. Neben der Theater-AG belegte ich auch Kunst-Leistungskurs. Mein damaliger Lehrer war auch selber freischaffender Künstler und inspirierte und ermutigte mich, den Weg als Künstlerin zu gehen. Mein Vater, der hauptberuflich Unternehmer in der Industrie war, bestärkte mich ebenfalls in meinem Wunsch Künstlerin zu werden. Allerdings wurde ich zuerst nach dem Abitur dazu verdonnert, eine kaufmännische Ausbildung zu machen, um eine gewisse Bodenhaftung zu behalten. Danach habe ich mich vollständig der Kunst gewidmet. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine kleine Familie, hatte bereits eigene Ausstellungen und habe mich bei vielen großen, freischaffenden Künstlern und freien Kunstakademien über viele Jahre weitergebildet. Ich lebe tagtäglich mit und durch die Kunst, eigentlich bin ich die Kunst! Über die Jahre bin ich milder mit mir geworden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieser Beruf nur funktioniert, wenn man eine absolute Hingabe verspürt, ohne etwas erzwingen zu wollen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Welcher ist Ihr, noch lebender, Lieblingskünstler?
Meine noch lebende Lieblingskünstlerin ist Elvira Bach! Nicht nur, weil ich sie persönlich kenne und mit ihr gearbeitet habe, sondern auch, weil sie sich in der damals noch mehr als heute von Männern dominierten Kunstwelt durchgesetzt hat. Sie hat schon früh ihren eigenen Stil entwickelt und ist ihm bis heute treu geblieben. Ein Bild von Elvira Bach erkennt man sofort und unverwechselbar. Eine starke Frau, die starke Frauen malt. Sie erhebt die Weiblichkeit zum zentralen Thema in ihren Gemälden. Sie setzt sich selbst bei allen Gemälden als Protagonistin ein, ohne dass es im klassischen Sinne Selbstporträts sind. Sie erzählt ihre eigene Lebensgeschichte mit hoher Symbolkraft und das erfolgreich seit Jahrzehnten, auch aus diesen Gründen kann ich mich mit ihr identifizieren. Aktuell hängen unsere Werke direkt nebeneinander in einer großen musealen Jubiläumsausstellung.

Was möchten Sie mit Ihrer Arbeit beim Betrachter hervorrufen?
Grundsätzlich sind meine Gemälde emotional positiv aufgeladen, ohne in die Oberflächlichkeit abzudriften. Zumindest ist das mein Bestreben. Ich möchte die Betrachtenden inspirieren, ihre eigene Realität neu zu gestalten. Meine Kunst ermutigt dazu, aus der gewohnten Komfortzone auszubrechen, neue Ideen zu entdecken und sich erfinderisch mit der Außenwelt auseinander zu setzen. Zum Beispiel habe ich die Schauspielerin Marianne Sägebrecht porträtiert, die eine meiner Ausstellungen eröffnet hat. Sie äußerte sich bei der Vernissage zu ihrem Porträt wie folgt: „Deine Bilder zeigen die seelischen Empfindungen, die Du in den auserwählten Antlitzen Deiner stark-zarten Frauen aufspürst und mit Deinen intuitiven Farben ans Licht bringst. Deine Gabe ist die Ahnung von den Menschen hinter ihrer Fassade und Du schätzt die Frauen im ersehnten Sinne des Matriarchats. Dafür lieben und verehren wir Dich!“ Durch diese Äußerung habe ich mich wertgeschätzt gefühlt und meine Arbeit als „gesehen“ verstanden. Neben der Wertschätzung, die ich durch solch eine Aussage erfahren habe, ist natürlich der Erfolg eines bildenden Künstlers, also quasi der „Applaus“, wenn Menschen sich dazu entscheiden, ein Gemälde zu erwerben und damit dazu beitragen, dass ich als Künstlerin existieren kann.
Was ist die interessanteste Interpretation, die Sie von Ihrer Arbeit gehört haben?
Bei meiner Ausstellungseröffnung „Die Kunst der klaren Haltung“ im Kunstmuseum Solingen, habe ich prominente Persönlichkeiten porträtiert, die dem Museum mit seinem Auftrag als Zentrum für verfolgte Künste besonders zugetan sind und es unterstützen. Der Museumsleiter Dr. Rolf Jessewitsch äußerte sich in seiner Ansprache zu den Porträts dahingehend, dass es sich auf den ersten Blick um beeindruckende Porträts bekannter Persönlichkeiten handelt. Gehe man aber nahe dran, würde man bei den Monomentalgemälden eine reine Flickenlandschaft entdecken und eigentlich gar nichts mehr erkennen. Er fände das extrem mutig, da ich mich mit dieser Arbeitsweise angreifbar machen würde, da jeder im direkten Vergleich zu diesen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eine eigene Meinung hätte. Diese Einzigartigkeit und der Mut, neben dem künstlerischen Können, haben ihn bewogen, diese Arbeiten auszustellen. Diese Interpretation hat mich ermutigt, nicht zu viel Wert auf alle Meinungen von außen zu legen und meinen Weg unbeirrt weiterzugehen. Jedoch ist es mir auch sehr wichtig, dass den Betrachtenden meiner Bilder der eigene, subjektive Zugang zum Werk möglich ist.

Woher nehmen Sie Ihre Inspiration für Ihre Arbeiten?
Meine Hauptinspiration bin ich selber und meine Lebensgeschichte und mein Umfeld, Menschen und ihre Lebensgeschichten, die Natur als große Schöpfung, Musik mit einer enormen emotionalen Kraft und Liedtexte mit ihren Botschaften. Zum Beispiel das Lied „Hereos“ von David Bowie, das von einer Liebe zwischen Ost- und West- Berlin handelt, hat mich in meiner Serie „LebensStücke“ zu einem Bild inspiriert. Unabhängig von diesem konkreten Beispiel, kommen die Themen meiner Arbeiten aber ohne Suche zu mir. Alles, was mich tagtäglich umgibt, sind letztlich meine Inspirationsquellen. Ganz nach meinem Credo „Die Kunst ist ein ewiges Finden, und sinnliche Erfüllung“, also ich suche nicht! Da dies ein ständiger Prozess ist und ich mir Notizen oder Skizzen erstelle, geht nichts verloren und während kreativer Blockaden, kann ich aus diesem Fundus schöpfen.
Was ist das Beste daran Künstler zu sein?
Es ist das Schaffen von etwas Neuem, vorher nie Dagewesenem. Die Freiheit mit meiner Kreativität spielen zu können, keinen Chef zu haben und meine Arbeitszeit selbst zu bestimmen. Es ist aber auch das große Glück, dass die Arbeit und die Freizeit miteinander verschmelzen. Da ich meine Inspiration ja aus dem Leben schöpfe, unterscheide ich nicht zwischen Arbeit und Freizeit. Natürlich muß ich auch administrative Dinge erledigen, versuche diese jedoch so gut es geht zu organisieren, oder mir entsprechende Hilfe zu holen. Durch meine Bildaussagen verbinde ich Menschen, indem ich sie einlade sich auszutauschen und in die Kommunikation zu kommen. Meine Kunst soll ermutigen, aus der gewohnten Komfortzone auszubrechen und sich mit der Außenwelt auseinander zu setzen. Besonders stolz bin ich darauf, dass sich meine Kunst stätig weiterentwickelt hat, dass ich ein ansehnliches Oeuvre geschaffen habe und unendlich viele positive Feedbacks und Anerkennung erfahren habe. Jungen Künstlern, die am Anfang ihrer Karriere stehen würde ich raten, ein großes Netzwerk um sich herum aufzubauen, sich mit anderen Künstlern auszutauschen und in sich reinzuhören, ob die Leidenschaft und der Leidensdruck Künstler sein zu „müssen“ groß genug ist, um einen Beruf ohne finanzielle Sicherheit und irgendwelche Garantien auf Erfolg zu beschreiten. Das Positive ist aber, dass man im Gegenzug einen Beruf hat, der dann wirklich von Berufung kommt und ein großes Lebensglück bedeuten kann.

Können Sie Ihre Techniken und Ihren künstlerischen Schaffensprozess beschreiben?
Ich bin eine figurative Malerin und arbeite im neoexpressionistischen Stil. Zunehmend verwende ich Mixed-Media-Techniken, in denen ich in letzter Zeit auch selbstgemachte Fotografien integriere. Ich arbeite ausschließlich mit Acrylfarben, vorwiegend mit Pinseln und Spachteln. Zusätzlich verwende ich Kohle, Graphit, Pastell- und Ölmalkreiden. Die erste Hürde ist die Bildidee in meinem Kopf zu kreieren. Das entsteht meist ungeplant, in der Nacht oder wenn ich morgens jogge und mein Kopf frei ist. Dann ist das Baby geboren. Dann habe eine erste Vorstellung davon, wie das Werk aussehen wird. Ich arbeite in vielen Schichten übereinander, die ich immer wieder auf- und abtrage. Ich nenne das „Aufbau und Zerstörung“. In diesem Prozess gebe ich dem Zufall großen Raum. Ich denke nicht mehr, sondern handele spontan. So kann es durchaus sein, dass das Werk eine andere Richtung einnimmt als geplant. Ich liebe es, mich immer wieder neu zu erfinden und neue Techniken zu erkunden. Deswegen arbeite ich in meinen neuesten Serien erstmalig mit eigenen Fotografien. Wie lange ich an einem Werk arbeite, lässt sich nicht voraussagen, oftmals nehme ich auch nach Jahren noch Bilder, die ich noch einmal überarbeite. Schon früh kam ich mit der Künstlerin Elvira Bach in einen persönlichen Kontakt. Sie ermutigte mich mit dem Satz: „Du hast die Fähigkeit und Gabe alles zu malen, was du willst!“ Ihre freie und expressionistische Ausdrucksweise und ihr unverkennbarer Malstil haben mich beeindruckt und beeinflusst. Im Laufe der Jahrzehnte ist mein Malstil vielschichtiger und freier geworden.
Was war Ihr überraschendster Moment ihrer bisherigen Kunstkarriere?
Der überraschendste Moment in meiner Karriere, endete in meiner ersten musealen Ausstellung. Ich hatte mich in diesem Museum beworben und wurde auf eine mögliche Ausstellung in fünf bis sechs Jahren vertröstet. Aber immerhin war ich schon im Gespräch.
Monate später, ich war auf einer Zugreise nach Berlin, da bekam ich einen Anruf von eben diesem Museumsdirektor. Er begann das Gespräch mit der Frage: „Wie spontan sind Sie?“ Ohne zu wissen, worum es ging, antwortete ich: „Spontan ist mein zweiter Vorname!“ Es stellte sich heraus, dass eine große Ausstellung mit einem indischen Künstler seit Jahren geplant war, der jetzt nicht liefern konnte. Ich hatte acht Wochen Zeit eine für mich sehr große Ausstellung zusammen zu stellen. Ich brach die Reise nach Berlin ab und arbeitete quasi Tag und Nacht dafür. Außerdem sammelte ich bestmöglich Leihgaben meiner Kunden zusammen. Das war der Startschuss für viele weitere museale Ausstellungen und stärkte das Vertrauen in mich selbst. Daraus gelernt habe ich, „kann ich nicht – gibt es nicht“ und „den Mutigen gehört die Welt“.

Welche Anschauung haben Sie auf unsere Welt und ihre Gesellschaft?
Wofür stehe ich? Diese Frage sollte man sich von Zeit zu Zeit stellen. Ich habe eine Antwort darauf in meiner Kunst gefunden. In einer Kunst der klaren Haltung. Eine klare Haltung haben, das ist wichtig. Heute wie morgen. Diese Haltung stand aber schon lange vor den aktuellen Diskussionen zu Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung fest. Ja, ich habe auch eine klare Haltung zu gesellschaftspolitischen Entwicklungen. Aber in erster Linie habe ich eine klare menschliche Haltung. Als Mensch und als Künstlerin. Diese Haltung drückt sich in meinen Bildern aus. Zu diesem Thema ist auch eins meiner wichtigsten Gemälde entstanden. Ich nenne es ‚Standhaft in der Welle stehen‘ und meine damit, dass ich mein Fähnchen nicht in den Wind hänge. Ich habe meine eigene Meinung und lasse mich nicht vom ersten Windstoß umpusten. Wenn die See mal rau wird, gut, dann muss man sich die Mütze vielleicht tiefer ins Gesicht ziehen, aber man hält Kurs, behält sein Ziel im Blick. Ich bin Protagonistin eines positiven Lebensgefühls. Ich habe Respekt vor der Schöpfung und ergreife Partei für sie. Die Würde des Individuums und der Schutz der Natur sind für mich ein hohes Gut. Ich sage „Ja“ zum Leben, mit allen Sinnen im Hier und Jetzt. Und ein offenes Lachen, das hilft oft weiter, mir und anderen. Ich wünsche mir, dass ich mit meinen Bildern andere inspirieren kann, das Leben zu bejahen. Wohlgemerkt: nicht zu einem oberflächlichen Jasagen. Sondern zu einem bewussten sich-dem-Anderen-zuwenden, ihn wahrnehmen, ansehen, verstehen. Ich versuche hinter die Fassade der Menschen zu blicken. Ich möchte sie erfassen mit ihren Stärken und Gefühlen, mit ihrer Lebensgeschichte. Dann sind es ehrliche Porträts von Menschen, die mich bewegen und beeindrucken. Von prägenden Persönlichkeiten, die die Gesellschaft mitgestalten. Und am Ende hat dies wieder viel mit mir zu tun. Ich lege Seele in meine Arbeiten, indem ich mich öffne. So lebt ein Teil von mir in meinen Bildern.
Welcher Aspekt des kreativen Prozesses gefällt Ihnen am besten?
Am meisten liebe ich den Arbeitsschritt, wenn ich es geschafft habe, meinen Verstand auszuschalten und komplett und das meine ich auch im wahrsten Sinne des Wortes, in die Farbe eingetaucht bin. Das ist der Moment, wo etwas Neues entstehen kann, was weder geplant, noch jemals da gewesen ist. Der Beginn eines Werkes und die Vollendung sind oft noch kopfgesteuert. Wie fange ich an? Was fehlt noch an dem Werk? Wo platziere ich die Signatur? Sind die Ränder umarbeitet? Werde ich schlusslackieren? … niemals möchte ich auf den Teil zwischen Anfang und Ende verzichten. Es ist die Spontanität und das die Zeit stehen bleibt, keine Rolle mehr spielt. Es ist ein Gefühl von Erfüllung und Leichtigkeit, wo das Außen verschwindet und nicht mehr wichtig ist.

Was sind Ihre nächsten Projekte, Ideen und Ausstellungen. Wo kann man Sie und Ihre Kunst zeitnah sehen?
Aktuell sind meine Arbeiten in zwei großen, wichtigen Ausstellungen zu sehen. 1) Bis zum 29. März 2025 sind Arbeiten von mir in der Ausstellung „Women in Art“ im Art-Palace-Prague zu sehen. Es ist eine Ausstellung in einem wirklich atemberaubenden Palast, bei der ich als eine von 21 Künstlerinnen aus 18 Nationen weltweit ausgewählt wurde. 2) Bis zum 05. Mai 2025 sind Arbeiten aus meiner Serie „Urban faces“ in der Jubiläumsausstellung anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Kunstmuseums Ottobeuren zu sehen. In dieser Ausstellung habe ich die Ehre, neben den ganz großen, internationalen Künstlerpersönlichkeiten meine Werke zu präsentieren. 3) Am 14.März 2025 wird meine erste Ausstellung in der Galerie RNP Fine Arts am Tegernsee eröffnet. Dort wird ein breiter Querschnitt meiner aktuellsten Arbeiten zu sehen sein. Alle Ausstellungen bieten den Besuchern ein breitgefächertes Angebot unterschiedlicher Schaffensperioden. Selbstverständlich sind mir auch nach Vereinbarung Besucher in meinem Atelier willkommen.
Aktuell verfügbare Werke finden Sie auf folgender Website:
www.sabina-bockemuehl.de